Wikipedias unrühmlicher Gender-Gap

Blog March 4, 2016

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Artikel von Naomi Gregoris, erschienen am 4.3.2016 in der Tageswoche. Online verfügbar.

Baslerinnen spielen mit Wikipedias unrühmlichen Gender-Gap
Auf Wikipedia werden über 80 Prozent aller Einträge von Männern geschrieben. Sollte nicht sein, sagen Frauen auf der ganzen Welt und schliessen sich zu Gruppen zusammen, die gemeinsam Wikipedia-Artikel bearbeiten. Auch in Basel gibt es nun eine solche Veranstaltung, organisiert von lokalen Künstlerinnen. 

24 Millionen Artikel über alles nur erdenkbar Wissenswerte: Die Internet-Enzyklopädie Wikipedia ist der Brockhaus unserer Zeit. Nur, was weiss man nach ein paar Mausklicks wirklich? Wer generiert dieses Wissen? Und macht es einen Unterschied, ob ein Artikel von einem Mann oder einer Frau verfasst wurde?

Gerade die letzte Frage ist von höchster Brisanz. Schliesslich werden weltweit bei Wikipedia nur knapp 13 Prozent aller Einträge von Frauen verfasst. In der Schweiz sind 88 Prozent der Webeinträge von Männern editiert. In der Internet-Enzyklopädie klafft einer der grössten Gender-Gaps unserer Zeit – und da es bei Wikipedia keinen Gatekeeper gibt, der die Frauen davon abhält, selber Inhalte zu produzieren, kann man sich darüber auch nicht beklagen. Bei Wikipedia dürfen alle ran. Gegensteuer geben kann Frau in diesem Fall also nur, wenn sie das Steuer selbst in die Hand nimmt.

Das nahmen sich im März 2012 ein paar Frauen aus San Francisco zu Herzen und veranstalteten den ersten «Women’s Edit-a-thon» zum Internationalen Frauentag. Ein «Edit-a-thon» ist eigentlich dasselbe wie ein eintägiger Hackathon, nur dass die Teilnehmenden dabei nicht Software entwickeln, sondern Wikipedia-Inhalte generieren.

Einen Tag lang ergänzten, korrigierten und erstellten die Frauen also Wikipedia-Einträge über Frauen. Die Veranstaltung war ein voller Erfolg. Es folgten Edit-a-thons in Princeton, Harvard und ein grosser Ada Lovelace-Day Edit-a-thon an der Brown University, wo Teilnehmer die Präsenz der «Mutter der Algorithmen» im Internet stärkten.

Es dauerte nicht lange, und die Veranstaltungen tauchten auch im Rest der Welt auf. Heute wird allein im deutschsprachigen Raum alle paar Monate ein Edit-a-thon organisiert.

Vier Jahre nach dem ersten feministischen Edit-a-thon kommt die Veranstaltung nun auch nach Basel. Künstlerin Daniela Brugger organisiert gemeinsam mit ihren Kolleginnen Chris Regn, Nicole Boillat, Muriel Staub und Lysann König ein Editier-Wochenende im Kaskadenkondensator. Wer seinen Laptop mitbringt, kann hier das ganze Wochenende lang Einträge zu Personen oder Begriffen zum Thema Kunst und Feminismus bearbeiten.

Mindestens ebenso wichtig wie das Editieren ist die Diskussionsebene: «Es geht mir nicht in erster Linie darum, möglichst viele Einträge zu verändern, sondern sich Gedanken darüber zu machen, was es bedeutet, im Internet Wissen zu produzieren», sagt Brugger. Also: Wer hat die Kontrolle darüber, was wir an Wissen vermittelt bekommen? Welche Art von Informationsübertragung geschieht im Internet, wenn die Geschlechterverhältnisse so unausgeglichen sind? Welchen Einfluss hat dieses fehlende Gleichgewicht auf die Art, wie wir Wissen verarbeiten und letztlich: auf unser Denken?

Sexistische Algorithmen

Wie tief diese Fragen gründen, zeigt sich bereits in den fundamentalsten Strukturen der Internet-Enzyklopädie: Bevor ein veränderter oder neuer Beitrag bei Wikipedia raufgeladen wird, muss er erst einen Katalog an Relevanzkriterien erfüllen. Und wer entscheidet was relevant ist? Wer stellt diese Kriterien auf?

Wir gehen davon aus, dass Technik neutral sei, aber selbst Algorithmen seien von Menschen programmiert und würden oft antiquierte Geschlechterrollen reproduzieren, erklärt Brugger. Zumal sie hauptsächlich von weissen Männern generiert würden, wodurch ein Ungleichgewicht entstehe, das selten hinterfragt werde.

Selten aufgeworfen wird auch die naheliegendste Frage: Wieso mischen Frauen so selten bei Wikipedia mit, erstellen und ändern Artikel? Daniela Brugger zuckt mit den Schultern. Weniger Musse, weniger Zeit, weniger Leidenschaft für digitale Projekte, vielleicht? Genau kann sie das nicht sagen. Nur entgegenwirken. Mit dem Edit-a-thon in Basel ist sie auf dem besten Weg dahin.